Wenn Kinder Probleme machen
Tipps für ratsuchende Eltern
In unserem Interview gewährt unsere Autorin, Dr. Sandy Krammer, einen Einblick in die Welt der Kinderpsychologie und spricht über die Herausforderungen, die Eltern beim Verständnis und bei der Bewältigung von Verhaltensproblemen ihrer Kinder oftmals begegnen. Ausgehend von den Erkenntnissen aus ihrer langjährigen Berufspraxis als Psychotherapeutin sowie ihrer eigenen Erfahrung als Mutter, teilt sie wertvolle Ratschläge und Strategien, die Eltern dabei unterstützen können, die Bedürfnisse ihrer Kinder besser zu verstehen und effektiv auf problematische Verhaltensweisen zu reagieren.
Sandy Krammer
Kinderprobleme verstehen und lösen
Ein psychotherapeutischer Werkzeugkoffer für Eltern
2023. 252 Seiten mit 8 Abb. und 2 Tab. Kart.
€ 30,–
ISBN 978-3-17-043214-7
Was hat Sie dazu bewegt, ein Buch über „Kinderprobleme“ zu schreiben?
Ehrlicherweise muss ich einräumen, dass dem ein innerfamiliäres Erlebnis vorausgegangen war. Aus dem Nichts heraus hatten die Kindergärtnerinnen meines damals fast sechsjährigen Kindes mir berichtet, dass er durch aggressives Verhalten aufgefallen war. Ich fiel aus allen Wolken.
Wie konnte es sein, dass dieses Kerlchen nicht gut mit anderen Kindern umgeht? Ich musste sofort intervenieren, was mir nicht schwerfiel, immerhin bin ich Fachpsychologin für systemische Psychotherapie FSP und habe jahrelange Berufserfahrung mit psychischen Problemen. Ich stellte also ein kleines Interventionsprogramm für meinen zum Bengel mutierten Engel zusammen, und während wir dieses bearbeiteten, stellte ich fest, dass ich es gut habe. Denn mir stehen für den Fall der Fälle gut bewährte Strategien direkt zu Verfügung. Und oft genügt wenig, es braucht nicht immer eine ellenlange Therapie und zig Fachpersonen – manchmal tut es ein Input, der eine pädagogisch-psychologisch stimmige Richtung anzeigt, und das eine oder andere Kinderproblem ist rasch behoben. Der Wunsch, mein Wissen über diese hilfreichen Strategien mit anderen Eltern zu teilen, war der Initialzünder für das Buch.
Kinder verhalten sich oft anders, als ihre Eltern es sich wünschen oder von ihnen erwarten. Woran können Eltern erkennen, ob das Verhalten des Kindes noch im „normalen“ Rahmen ist und „sich verwächst“ oder ob es einen schwerwiegenden Hintergrund hat? Ab wann hilft es, psychotherapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen?
Die Frage „Ist unser Kind noch im Rahmen oder hat es eine psychische Störung?“ wird mir häufig von Eltern gestellt. Tatsächlich ist dies nicht immer trennscharf zu erkennen, besonders, wenn man selbst nahe dran ist. Dann braucht es eine fachkundige Außenperspektive. Eine solche sollte dann eingeholt werden, wenn ein Problem vorliegt, das erstens einen beachtlichen Leidensdruck auslöst, zweitens das Kind auf irgendeine Weise beeinträchtigt, bspw. in den schulischen Leistungen oder im Freundeskreis, und das drittens schon mehrere Wochen oder Monate anhält. Im Zweifelsfall ist das Kind einer kundigen Fachperson vorzustellen, die schließlich entscheidet, ob der Punkt erreicht ist oder nicht, ab dem das Kind psychotherapeutische Unterstützung erhalten sollte.
Welchen Anteil können Eltern an den problematischen Verhaltensweisen ihres Kindes haben?
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, sagt der Volksmund, und oft (aber nicht immer) spielen Eltern eine Rolle in Bezug auf das Problemverhalten ihrer Kinder.
Ich mache ein Beispiel, das auch im Buch enthalten ist: In einer Klinik, in der ich früher gearbeitet hatte, erreichte mich die Anmeldung zur Psychotherapie für ein vierjähriges Mädchen. Dieses leide seit drei Monaten aus „unerklärlichen Gründen“ an einem schweren Husten. Aus ärztlicher Sicht sei alles abgeklärt, es sei keine organmedizinische Verursachung gefunden worden. Der Intuition folgend lud ich die Eltern des Mädchens zum Erstgespräch ein, nicht das Mädchen selbst. Die Eltern kamen, wenn auch irritiert, schließlich habe die Tochter ein Problem, nicht die Eltern. Ich erkundigte mich mitunter nach bedeutsamen Ereignissen zum Zeitpunkt des Symptombeginns und erfuhr, dass es kurz vor Beginn des Hustens zu einem handgreiflichen Streit zwischen den Eltern gekommen sei, woraufhin ich das Thema der elterlichen Beziehung vertiefte. Dabei brachte ich in Erfahrung, dass die Eltern seit der Schwangerschaft ihres einzigen Kindes regelmäßig heftig stritten.
Obwohl mich die Eltern weiterhin drängten, das kranke Kind in Psychotherapie zu nehmen, lud ich es nicht ein, sondern arbeitete mit den Eltern weiter. Ich folgte der Hypothese, dass der ständige Konflikt der Eltern beängstigend gewesen sein muss für das Mädchen und es verunsichert ist. Jedes Kind braucht Eltern, die ihm Sicherheit und Schutz bieten. Die sichere Bindung zu den Eltern ist in diesem Altersabschnitt notwendig für eine gesunde Entwicklung. Dieses Mädchen nun wächst seit ihrer Geburt mit sich streitenden Eltern auf, die sich mal anschreien, mal schlagen, mal trennen, ausziehen, wieder zusammenkommen, wieder einziehen, alles unter den Teppich kehren und dann beginnt der zerstörerische Zyklus von vorne. Wahrscheinlich hatte es den Husten gebraucht, um seinen Spannungen oder Ängsten auf diese Weise ein Ventil zu geben, und vielleicht auch, um auf seine Notlage hinzuweisen. Dass es – natürlich unbewusst – auf Husten „zurückgegriffen“ hat, kann mit einer persönlichen Schwachstelle zusammenhängen, denn es hatte einige Zeit zuvor eine Bronchitis durchgestanden. Im Laufe der psychotherapeutischen Arbeit erkannten die Eltern ihre Verantwortung für die familiäre und dann auch für die gesundheitliche Situation des Kindes und begaben sich in Paartherapie. Im Zuge der Bearbeitung der Partnerschaftsprobleme packte der Husten des Mädchens schon bald den Koffer.
Solche Fälle gibt es viele. Immerhin hatte schon Friedrich Nietzsche gesagt: „Welches Kind hätte nicht Grund, über seine Eltern zu heulen?“ Man kann sein Kind nicht nicht beeinflussen. Und dennoch ist es natürlich möglich, dass Eltern nicht zu den Schwierigkeiten des Kindes beigetragen haben. Eltern haben vieles, aber nicht alles in der Hand und selbstverständlich gibt es jede Menge weiterer Einflüsse. Aber auch wenn Eltern nicht zum Problem beigetragen haben, wollen sie doch sicherlich zur Lösung beitragen. Dieses Buch bietet hierbei Hilfestellungen.
Was möchten Sie einem Elternteil mit auf den Weg geben, das mit dem Verhalten seines Kindes überfordert ist?
Bitte stellen Sie sich hinten an, denn die Reihe der Eltern, die mit dem Verhalten ihrer Kinder überfordert sind, ist lang. Auch mich finden sie zeitweise darin. Ein wenig Überforderung von Zeit zu Zeit ist normal. Das Kind erwacht jede Nacht aus einem Alptraum, schreit heftig, weckt alle, und innerhalb kürzester Zeit ist die gesamte Familie inklusive Nachbarschaft übermüdet – und überfordert. Das Kind hat überhäufig nicht erklärbare Bauchschmerzen und geht deswegen nicht zur Schule; es folgen schlechtes Gewissen, Gespräche mit der Schule, mit den Ärzten – und ehe man es sich versieht, ist man überfordert. Das Kind ist tagtäglich fuchsteufelswild und demoliert, was ihm in die Klauen gerät – man fühlt sich ohnmächtig und bar einer Idee, wie diesem Teufelsbraten zu begegnen sei.
Die Überforderung naht. Es gibt eine Unmenge an Möglichkeiten, wegen der eigenen Kinder überfordert zu sein. Solange der Zustand nicht andauert und man immer wieder kreative Lösungen findet, um die Herausforderung zu überwinden, ist kaum Gefahr im Verzug und gehört ein Stück weit einfach zum normalen Elternsein dazu. Sozusagen der ganz normale Wahnsinn. Anders gelagert ist es, wenn man den Ausweg nicht mehr findet – hier empfehle ich professionelle Unterstützung, denn psychische Probleme der Eltern wirken sich nicht selten negativ auf die Kinder aus, mal ganz abgesehen davon, dass sie auch für den betroffenen Elternteil nicht angenehm sind.
Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Dr. phil. Sandy Krammer, LL.M., ist Psychologin und Psychotherapeutin FSP mit eigener Praxis im Schweizerischen Davos und viel psychotherapeutischer Erfahrung mit Kindern, Jugendlichen und Familien sowie persönlicher Erfahrung als Mutter.